Freitag, 4. Dezember 2009

Rückschau auf eine intensive Reise

Nun bin ich wieder in Guatemala-City. Die Reise ans südliche Ende der Welt ist zu Ende. Gestern habe ich die Fotos durchgeschaut und bearbeitet und da ist mir erst klar geworden, wie intensiv diese vier Wochen eigentlich waren! Ich habe vor unserer Abreise gesagt, dass wir nicht mehr die Gleichen sein werden, wenn wir zurückkommen. Das hat sich noch nie als so richtig erwiesen! Wir mussten auf dieser Reise so flexibel wie noch nie sein - nix war fix, ständig gab es irgendwelche Abweichungen, Hindernisse und Schwierigkeiten. Wir haben sie gemeistert und uns dabei auch noch gut unterhalten, gebildet und zeitweise sogar erholt. Was will man von einer Reise noch mehr? Aber nun im Einzelnen:

Mein letzter Bericht stammt aus Ushuaia. Von dort ging es mit dem Bus nach Puerto Natales, einer Stadt in Chile, die nur über eine Straße aus dem Süden oder über das Meer erreichbar ist. Von hier aus kann man über den Landweg nicht weiter in den Norden Chiles - man muss über Argentinien fahren. Die Stadt selbst hat den Charme einer Goldgräbersiedlung. Die Häuser sind sehr klein und sehen alle ein wenig professorisch aus - Wellblechdächer, dünne Wände aus Holzplatten, einfache Schiebefenster - alles in Leichtbauweise. Dazu ist es doch recht kalt, nach Aussagen unserer Hostel-Wirtin - 15 Grad im Winter - knapp über 0 während unseres Aufenthaltes. Die Häuser sind alle mit Gas beheizt. Dieses wird hier in Chile gewonnen und kostet sehr wenig. Ich möchte einmal diese Stadt durch eine Wärmekamera sehen - der Energieverlust dieser Hütten muss enorm sein! Dafür gibt es überall Energiesparlampen! Wir haben von hier aus den Nationalpark "Torres del Paine" besucht, der wunderschöne Bergpanoramen, idyllische Wasserfälle und eine für uns exotische Tierwelt mit Guanacas, Nandus und Kondoren bietet.

Von Puerto Natales aus fuhren wir mit kleinem Gepäck mit dem Bus nach Calafate, in Argentinien um den Nationalpark "Los Glaciares" mit seinen Riesengletschern zu besuchen. Da die Saison erst im Anlaufen war, bekamen wir 2 Exkursionen zum Preis von einer, und so fuhren wir zunächst ganztägig mit dem Schiff um die drei größten Gletscher von der Wasserseite her zu sehen. Die Gletscher kalben dort eigentlich ständig. Der bekannteste der Gletscher "Perito Moreno" bewegt sich z. B. mit 2 m pro Tag vorwärts. An seinem Ende ist eine Felskante, von welcher große Eisstücke abbrechen, ins Wasser stürzen und als Eisberge ihre Reise antreten. Man fühlt sich unwillkürlich in ein frühes Erdzeitalter versetzt und spürt förmlich die unheimliche Kraft der Natur. Am zweiten Tag fuhren wir mit dem Bus zu einer Anlage mit Aussichtsstegen. Hier hatten wir die Aussicht auf den Gletscher von oben. Wenn man den Umweltforschern glauben darf, wird es diese Gletscher nicht mehr lange in diesem Ausmaß geben. Umso mehr freue ich mich, sie noch in ihrer ganzen Pracht und Kraft erlebt zu haben.

Nach drei Tagen Calafate ging es zurück nach Puerto Natales, von wo aus wir unseren Weg per Schiff in Richtung Norden fortsetzten. Die Schifffahrtslinie zwischen Puerto Natales und Puerto Montt gilt neben der Hurtig-Linie in Norwegen als schönste Seelinie der Welt. Man fährt ständig durch Kanäle, die manchmal nur sehr schmal sind und verbringt nur einen Tag wirklich auf offener See. Die Landschaft ist bis auf eine Siedlung, nämlich Puerto Eden (dort gingen wir 1 Stunde lang an Land) völlig menschenleer und zeitweise atemberaubend schön. Es gibt wieder Gletscher, Fjorde, bizarre Felsformationen und Wasserfälle zu sehen. Leider blieben die Wale, die um diese Zeit in dieser Gegend eintreffen sollten, aus. Nach 4 Tagen am Wasser kamen wir in Puerto Montt an. Puerto Montt ist eine Stadt, die sich innerhalb eines Jahrzehnts einwohnermäßig vervielfacht hat, derzeit hat sie 120 000 Einwohner. Dies ist vor allem auf die aufstrebende Lachszucht zurückzuführen. Das Hafenviertel dort ist sehr pittoresk und man kann sich sehr gut mit Produkten aus Schafwolle, Guanacowolle und Leder eindecken.

Von Puerto Montt aus ging es nach Bariloche in Argentinien, einer Landschaft, die sehr stark an das Salzkammergut erinnert. Wunderschöne, klare Seen, schneebedeckte Berge rundum und die Stadt fremdenverkehrsmäßig voll aufgeschlossen. Nach einer Nacht und einem guten Abendessen in Puerto Montt ging es wieder mit dem Bus mit "Cama" (Bett) 20 Stunden lang nach Buenos Aires. Die Busse sind wirklich sehr angenehm, man kann schlafen und bekommt ein Service wie im Flugzeug: Stewards bringen Mahlzeiten und Getränke und die Boardtoilette ist auch gut benutzbar. Am Busbahnhof angekommen, wurde mir noch in einer Drängerei aus meinem Rucksack ein Täschchen mit sämtlichen Ladegeräten (für die Kamera, für die Handys) gestohlen (Taschendiebe sind hier genauso geschickt wie überall auf der Welt!), doch im Busbahnhof kann man sich Handyladegeräte um 3 Euro kaufen - ich habe den Verdacht, dass sie das, was dort gestohlen wird, gleich wieder verkaufen... :-)

In Buenos Aires begaben wir uns wieder in die alte Bed & Breakfast - Villa, in der wir vor 4 Wochen nach unserem Unfall einen Teil unseres Gepäckes gelassen hatten (damit wir nicht soviel zu schleppen brauchten), genossen die Stadt noch einen Tag zu Fuß und einen Tag mit ausgeborgten Fahrrädern, wobei das bunte Künstlerviertel "La Boca", in dem Tango getanzt, gemalt und vor allem verkauft wird, und der sehr morbid wirkende Friedhof "Ricoletta" die Höhepunkte waren. Da unser Flugzeug nach Guatemala schon vor 6 Uhr früh startete, fuhren wir nach einem ausgiebigen "Grillabendessen" (gegrilltes Rindfleisch zählt zu den besonderen Gaumenfreuden hier in Argentinien) noch vor Mitternacht zum Flughafen, verbrachten dort die letzten Stunden und flogen dann mit Landungen in Peru (Lima) und Costa Rica (San Jose) zurück nach Guatemala-City.

Eine ereignisreiche, interessante Reise hat ihr Ende gefunden. Und dass sie dieses Ende gefunden hat, ist wohl nicht zuletzt den beiden Schutzengeln zu verdanken, die uns begleitet haben!



Zusammenfassend kann ich über Argentinien und Chile folgendes sagen:

Die Menschen in diesen beiden Ländern sind grundsätzlich freundlich und hilfsbereit. Die Argentinier strahlen vielleicht noch mehr Lebensfreude und Fröhlichkeit aus, scheinen aber auch die Geschäftstüchtigeren zu sein. Der Lebensstandard in Chile ist niedriger als in Argentinien, ebenso das Preisniveau. Während man in Argentinien knapp unter dem europäischen Preisniveau liegt, ist Chile vor allem was die Gastronomie betrifft, viel billiger. Man hat den Eindruck, dass durch die Erdöl- und Erdgasfunde in beiden Ländern das Sparen von Energie kein Thema ist, was in der wenig massiven Bauweise zum Ausdruck kommt.

In beiden Ländern sind eigene Zugänge für Behinderte und Behindertentoiletten Standard und man fühlt sich, außer vielleicht in Teilen von Buenos Aires, sehr sicher. Die Kriminalitätsraten sind niedrig (in Chile sogar die niedrigsten von Süd- und Mittelamerika). In beiden Ländern sind derzeit Frauen als Ministerpräsidentinnen an der Macht, was in den sonst vom Machismo geprägten Ländern Süd- und Mittelamerikas beachtlich ist.

Hat man früher die Besitzer der riesigen Estanzias (Farmen mit Viehzucht) beneidet bzw. bekämpft, hat man heute den Eindruck, dass diese durch die Konkurrenz am Weltmarkt sehr zu kämpfen haben. Man hört immer wieder, dass Estanzias nur duch Engagement im Fremdenverkehr lebensfähig sind. Viele Farmer verlassen auch ihr Land, was bei der Abgeschiedenheit in den Weiten der Pampas nicht verwunderlich ist. Da die Ureinwohner beider Länder im Prinzip ausgerottet wurden, gibt es auch das Problem des Rassismus, das z. B. Guatemala sehr prägt, eigentlich nicht. Selten sieht man vor allem im tiefen Süden Menschen, die so ähnlich aussehen wie Innuit. Sie wirken aber integriert und betätigen sich häufig im Fremdenverkehr z. B. als Fremdenführer. Die Urvölker Chiles und Argentiniens haben nicht viele Spuren hinterlassen. Was noch an Zeugnissen aus jener Zeit vorhanden ist, wird wohl fremdenverkehrsmäßig ausgeschlachtet und vom Kunsthandwerk nachempfunden, hat aber wohl wenig Wirkung ins Jetzt. Dies gilt vor allem für den Süden beider Länder, den ich bereist habe. In Chile gibt es noch eine größere Population der Mapuche, die auch immer wieder ihre Rechte einfordert, aber weiter im Norden lebt.

Die Nachbarschaft zwischen Argentinien und Chile fühlt sich ähnlich an wie jene zwischen Österreich und Deutschland. Das kleine Chile scheint ein wenig unter Minderwertigkeitskomplexen gegenüber dem großen Nachbarn zu leiden. Kleine Sticheleien von beiden Seiten gehören offensichtlich zum guten Ton und kommen fast in jeder Unterhaltung vor, die sich mit beiden Staaten beschäftigt.

Auffallend ist auch in beiden Ländern der deutsche Einfluss. Sehr viele Deutsche haben nach dem 1. und auch nach dem 2. Weltkrieg den Weg nach Chile oder Argentinien gefunden und das Land mitgeprägt. Viele Gaststätten, Geschäfte und auch Straßen tragen deutsche Namen und man findet auch immer wieder Menschen, die noch Deutsch sprechen und dies auch gerne tun.

Ich füge diesem Bericht einen bunten Reigen von Fotos von dieser Reise an. Die Bildunterschriften geben Auskunft über das Abgebildete. (Link links: Bunter Bilderbogen Patagonien 2009).

Damit verabschiede ich mich bis Februar - ich bin in der Zeit in Österreich. Da wir vorhaben im März wieder eine interessante Reise (geplant ist das Urwaldgebiet der Moskitia in Honduras) zu unternehmen, wird mein nächster Bericht vermutlich aus dieser Ecke der Welt stammen.
Allen meinen LeserInnen wünsche ich ein schönes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch ins Neue Jahr!

Irene